Leseprobe

             
             
              

6. Kapitel

Endlich ordentlich Studierender

 

Wieder einmal im Leben hatte ich zu hoch gepokert und verloren. Denn nach meiner fristlosen Entlassung saß ich jetzt drei Monate vor meinem geplanten Studienbeginn, der mit dem Wintersemester Mitte Oktober 1968 bevorstand, ohne Einkommen zu Hause und machte mir Sorgen. Dabei hatte ich geplant, bis einen Tag vor Studienbeginn zu arbeiten und danach meinen Urlaub zu nehmen, den ich die letzten zwei Jahre aufgespart hatte, um erst einmal studieren zu können, solange das Geld reicht. Mindestens für die ersten zwei Semester, so meinte ich, würden wir zurechtkommen. Die anschließende Prüfung zum Vorphysikum (Naturwissenschaftlicher Teil der Tierärztlichen Vorprüfung), vor der ich großen Respekt hatte, würde ohnehin wegweisend sein, wie es danach weitergehen würde. Von Arbeitslosengeld wusste ich noch nichts, und die Anstellung meiner Frau war auch ausgelaufen, seit wir von Hannover-Kirchrode in ein kleines Dorf östlich von Hannover, nach Dolgen umgezogen waren.

 

Die Zeit sinnvoll nutzend wandte ich mich gleich meinem nächsten ungelösten Problem zu: der Lateinprüfung. Denn für die Zulassung zum Vorphysikum musste man damals das Kleine Latinum haben. Meinen Lehrer, der mich für die Begabtenprüfung erfolgreich unterrichtet hatte, konnte ich leicht überreden, mir nun auch Latein beizubringen. So habe ich dann die Zeit bis zu meinem Studienbeginn mit Lateinpauken überbrückt, ohne erst einmal irgendeinen Zugang zu dieser toten Sprache zu finden. Zähneknirschend musste ich unendlich viele Vokabeln lernen, Substantive mit den verschiedensten Endungen im Singular und Plural deklinieren, regelmäßige und unregelmäßige Verben konjugieren und den einen oder anderen Ablativus absolutus enträtseln.

Als bei Studienbeginn an der tierärztlichen Hochschule ein Abendkursus zum Erwerb des kleinen Latinums ausgeschrieben wurde, habe ich mich dort auch noch angemeldet. Keinem meiner beiden Lateinlehrer habe ich jedoch verraten, dass ich an jeweils anderer Stelle noch Lateinunterricht erhielte. Der Abendkurs, an dem außer den Studenten der Veterinär-, Human- und  Zahnmedizin auch Studenten der Pharmazie teilnahmen, wurde mit strikten Lernvorgaben abgehalten, denen ich nur teilweise nachkommen konnte. Ich staunte nur immer wieder, was andere so alles wussten, aber dennoch den Anforderungen unseres gestrengen Lehrers, der damals ein junger Studienassessor war, nicht entsprachen; von mir ganz zu schweigen. Bei aller Strenge hat er mich, vielleicht weil ich der Methusalem in Kurs war, immer freundlich behandelt und auch nicht mit Abfragen vor der Klasse bloßgestellt, wovor sonst niemand sicher war.